“Bleib nicht in der Impact Zone! Geh da so schnell wie möglich durch. Du kannst danach ausruhen“ ruft der Surflehrer. Der Kerl ist ein verkannter Zen Meister. Er schafft es, mir beim Surfen Lebensweisheit zu vermitteln. Neulich konfrontierte er mich mit der Impact Zone. Das ist da, wo die grossen Wellen über dich hereinbrechen.
In der Welt des Surfens gibt es zwei Orte: nahe am Strand, wo die Wellen kleiner sind, weil sie bereits eine Strecke gebrochen zurückgelegt haben. Surfanfängerinnen und -anfänger versuchen, auf der weissen Schaumkrone dieser abgeschwächten Wellen zu reiten. Der andere Ort ist dahinter. Die Impact Zone bildet den Übergang. Sie ist dort, wo richtig grosse Wellen eben gerade brechen. Hier braucht’s so richtig viel Kraft, um klarzukommen. Entweder nimmst du dein Brett und versuchst, direkt durch die Welle hindurchzutauchen. Oder du lässt sie unter dir durchgleiten. Wenn du beides nicht schaffst, bricht sie direkt über dir herab. Und du landest in der gefürchteten Waschmaschine.
Sie drückt dich mit einer gewaltigen Wucht unter Wasser und hinein in die Walze. Je grösser die Welle, desto stärker dieser Waschmaschinen-Effekt. Er ist der Prüfstein des Ozeans. Wie ernst ist es dir mit Surfen? Auch die Besten landen dort. Sie ist das eingebaute Risiko der Impact Zone. Und da musst du bei jeder Surfsession durch. Immer wieder von neuem, wenn du auf grünen Wellen surfen willst. Es braucht Mut, Kraft, Ausdauer und Willenskraft, dich da durchzumanövrieren. Es gibt keine Abkürzung, keinen Umweg. Wie so oft im Leben.
Der Lehrer kann dir nur vorausgehen. Hindurch musst du alleine. Aber wenn du mal durch bist, ändert sich alles: es ist still und ruhigerer Seegang. Surfer sitzen auf ihren Brettern, ruhen aus, beobachten die Wellen. Von hier aus siehst du die grossen Wellen von hinten! Das grössere Ganze. Hier ist Zeit, auszuruhen und Aufmerksamkeit zu bündeln. Innen, wie Aussen. Warten auf die perfekte Welle. Die deinen Namen trägt. Die Welle, nach der ich suche und die auch mich sucht. Die Essenz des Surfens. Hier erkennst du, weshalb so viele Surferinnen und Surfer Yoga üben oder Meditieren. Hier geht es nur acht- und aufmerksam, verbunden mit dem Ozean, mit den Wellen und dem eigenen Körper und den eigenen Skills.
Dann siehst du sie. Deine Welle. Mit aller Kraft lospaddeln. Der richtige Moment, das perfekte Gleichgewicht und das Unerklärbare spielen hier zusammen und die Welle erfasst dein Brett und du stehst blitzschnell auf und bist an dem Ort, der viele Namen hat. The Zone. Nirwana. Der Flow…Aber wann im Leben haben wir jemals perfekte Bedingungen? Ich bin gerade auf Jobsuche. Ich erhalte eine Absage nach der anderen, seit drei Monaten. Aus dem Surfen weiss ich: Aufgeben ist keine Option. Meine Freundin liess mich von der Impact Zone erzählen. Dabei merkte ich, wie fasziniert ich beim Anblick der riesigen Welle bin. Und das Staunen mich blockiert. Schon bin ich im nächsten Waschgang. Also paddle ich weiter, suche coole Inserate und schreibe Bewerbungen. Ausruhen kann ich mich später.