Yoga lässt sich auf so viele verschiedene Arten üben, interpretieren und kommerziell ausbeuten! Ich selber hänge ab und zu im Haben-wollen-der-perfekten-Yogamatte-mit-magic-carpet-print fest. Mein flauschiger Wohnzimmerteppich verunmöglicht glücklicherweise das Üben auf einer Yogamatte und holt die Konsumtussi in mir auf den Boden der Tatsachen herunter. Yoga hat durchaus unangenehme Momente. Mit all den schönen Yoga-Gadgets kann ich mich wunderbar davon ablenken und zielsicher an der Essenz von Yoga vorbeisausen. Dabei wäre Yoga doch so einfach. Atmen. Üben. Beobachten. Repeat.
Schmerzgrenze
Wenige Augenblicke oder Atemzüge vor dem Lösen einer Stellung hat es Yoga so richtig in sich. Klar nicht vor der Schmerzgrenze, aber Millisekunden davor. Dort, wo ich noch ein wenig länger weitermachen kann. Im Übergangsmoment. Das sieht am Beispiel der Kriegerin so aus: ich halte die Stellung, ich atme. Ich halte länger, es fällt mir immer schwerer, das Gleichgewicht schwankt, die Muskeln zittern und die Atmung wird flacher, die Achtsamkeit geht flöten.
Ehrgeiz und Neugier
An dieser Stelle sagen dann Yogalehrerinnen und –lehrer Dinge wie «entspannt euch in der Anspannung!» oder «lenkt euren Atem dorthin, wo’s zieht oder brennt»… Meine Beine zittern, ich mag nicht mehr. Auf Fotos sieht das immer so leicht und anmutig aus. Mein Ehrgeiz flüstert: weiterhalten, noch weiterhalten. Das dauert je nach Tagesform unterschiedlich lange und kann anspruchsvoll sein. Manchmal bin ich offen und neugierig herauszufinden, was im nächsten Augenblick passiert. Und im übernächsten. An anderen Tagen bin ich müde, ungeduldig, will die Übung einfach nur hinter mich bringen.
Millimeter-Schritte
Yoga ist für mich wie ein Mikroskop, mit dem ich diese Übergangsmomente genauer betrachten kann. Meine Aufmerksamkeit ist in Bewegung, mein Yoga auch. Je länger ich an einer Stellung übe, umso kleinere, feinere Unterschiede kann ich wahrnehmen. Eine millimeterkleine Verschiebung kann eine Stellung ganz verändern, Schultern oder Gesicht sich ganz entspannen lassen. Seit ich meine Wahrnehmung für diese Übergangsmomente im Yoga schule, fallen sie mir im Alltag stärker auf.
Der Trick ist für mich der: gebe ich gewissen Übergangsmomenten Raum, anerkenne ich sie als unangenehm, spüre ich plötzlich weniger Widerstand, es öffnet sich Platz zum Beobachten, zum Halten und Aushalten. So habe ich schon verhindern können, wütend die Kinder anzufauchen, wenn sie sich morgens nicht nach meinen zeitlichen Vorstellungen anziehen. Das ganze Leben ist voller Übergangsmomente, die unangenehmen bleiben uns stärker in Erinnerung. Ich kann aber üben, sie anders anzugehen und wahrzunehmen.
Übrigens, meine Lieblings-Übergangsmomente sind Morgen- und Abenddämmerung. Welche sind deine?
Witzig, genau das habe ich heute in einem Gespräch herausgeschält. Wenn ich mich auf etwas einlasse, das an meinen Nerven reibt und meine Grenzen herausfordert (wir sprachen über Lärm), bekommt es auf einmal eine andere Farbe. Ich werde von der Genervten zur Beobachterin und kann es auf einmal anders angehen. Atmen. Ein und aus. Und ja, das ist für mich Yoga, genau das!