Autor: Rahimo Täube
Was wir auf der Yogamatte lange genug üben, können wir meist auch im Alltag umsetzen. Das gilt auch für das Thema Grenzen setzen und sich selbst spüren. Übungen auf der Matte helfen, uns selbst besser wahrzunehmen – auch in stressvollen Momenten.
Im Hatha Yoga sind wir gewöhnlich durch unsere eigene Yogamatte abgegrenzt und geschützt. Auf unserer kleinen persönlichen Insel können wir vorübergehend Frieden und Harmonie finden. Diesen hilfreichen Schutz können wir leider nicht mitnehmen – etwa in konflikthafte Alltagssituationen.
Wir müssen vielleicht ganz neue Wege finden, um unseren Seelenraum zu schützen, unsere Integrität und unsere Würde. Vor allem gegenüber Menschen, die weniger achtsam sind und uns nicht guttun. Es ist also sinnvoll, auf der Matte flexiblere Formen der Abgrenzung einzuüben, die in den Alltag übertragbar sind. Dazu eine hilfreiche Übung:
Sich mit einer Schutzhülle umgeben
- Nimm eine aufrechte und bequeme Haltung ein und verfolge deine Atembewegungen. Begleite sie mit atembetonten Gesten: Wenn das Einatmen beginnt, sind die Hände auf der Höhe des Unterbauches – nah zusammen, oder etwas auseinander
- Bei jedem tiefen Einatmen füllt sich dein Bauchraum mit Prana. Er hebt dann den Brustraum, der sich nun füllt. So steigt im Rumpf der Pegel der Prana-Füllung. Die Hände begleiten diese erhebende Bewegung – vom Bauch aufwärts bis zum Kopf.
- Beobachte, wie dein Atemstrom beim Einatmen ständig an die Grenzen des Körperraums stösst: Bauchdecke, Taille, Lenden, Rippen, Schultern, Hals, Mundraum und Stirnhöhlen.
- Lass dabei ein Körperbild entstehen: Dein Atemraum stösst rundherum an Körperwände, die ihn eingrenzen. Das erzeugt eine gewisse innere Reibung, eine sanfte Spannung, die sich beim Ausatmen auflöst.
- In dieser Reibung liegt die Chance, deinen Innenraum und die Regungen an seinen Grenzen sinnlich zu spüren.
- Denn wir spüren uns selbst vor allem dann, wenn wir an Grenzen stossen – oder wenn andere an unsere Grenzen stossen.
- Mit Atemgesten stecken wir unsere Grenzen ab und versuchen, sie zu erweitern.
- Dann gehen beim Einatmen die Hände vom Körper weg in den Raum hinein – in alle Richtungen. Mit der Imagination: Ich nehme mir Raum. Beim Ausatmen kehren die Hände zurück.
- Wie viel Raum erlaubst du dir zu nehmen? Spürst du innere Hemmungen, dich mal lustvoll auszubreiten? Vielleicht, weil «man das nicht tut»? Oder weil das «nicht zum ordentlichen Yoga gehört»? Neigst du dazu, dich «klein zu machen»?
- Nun bewegen wir die Hände nahe am Körper auf und ab – bis zum Boden und über den Kopf. Wir ertasten und markieren unseren persönlichen Raum, so dass er fühlbarer wird.
- So schaffen wir uns einen geschützten Raum – mit einer unsichtbaren, schützenden Hülle um uns herum. Eine wohltuende Aura, in der wir uns vielleicht geborgen fühlen, und uns wertschätzen: Das bin ich.
Mehr zum Thema Abgrenzen auf der Yogamatte und im Alltag findet sich in der aktuellen Ausgabe 3/22.