Die Münchner Yogalehrerin Diana Sans hat lange mit dem scheinbar unüberbrückbaren Zwiespalt zwischen ihrem Wunsch nach spiritueller Erfüllung und ihrem Alltag als Mutter, Ehefrau und Mitglied einer modernen westlichen Gesellschaft gerungen. Die Lehren des Tantra haben diesen Bruch schliesslich geheilt und ihr gezeigt, dass es um das «Sowohl als auch» geht. Darum, dass die spirituelle Praxis mitten im Leben stattfindet.
In ihrem schönen Buch vermittelt sie klar und gut verständlich, um was es im Tantra geht, das so viel mehr ist als die Sexualität, auf die es gerne reduziert wird. Tantra ist vor allem ein Übungsweg, eine Lebenshaltung, die man sich durch wirkungsvolle Praktiken für Körper, Geist und Seele erschliessen kann. Diana Sans stellt denn auch viele Übungen und Meditationen vor und lässt genügend Platz für Reflexionen.
Die tantrische Philosophie verfügt über ein lebensbejahendes Weltbild, in dem die Befreiung im Hier und Jetzt möglich ist. Dem intellektuellen Verständnis abstrakter Konzepte stellt sie die persönliche Erfahrung und deren Integration in den Alltag an die Seite. Das eine, allumfassende Bewusstsein drückt sich in der Vielfalt der Erscheinungen aus, die das Universum bilden. In dieser nicht-dualistischen Weltsicht sind Schöpfer und Schöpfung eins, sind wir alle Teil des Göttlichen und lebt und lernt dieses durch uns.
Das Göttliche hat zwei Aspekte, einen männlichen und einen weiblichen – Shiva und Shakti. Shiva steht für das reine Gewahrsein, Stille und Beobachten; liegt also jenseits von allem, was sinnlich erfahrbar ist. Sein Gegenpol und seine Ergänzung ist Shakti, das weibliche Prinzip der Energie und Dynamik, welches die gesamte Wahrnehmung repräsentiert. Shaktis heilige Energie schenkt der Welt das Leben. In der Praxis des Tantra geht es darum, in sich beide Aspekte harmonisch zu vereinen.
Als eines der faszinierendsten tantrischen Konzepte bezeichnet die Autorin «Spanda». Der Puls des Lebens vollzieht sich in einem ewigen Rhythmus von Expansion und Kontraktion. Alles, was den Weg in die Ausdehnung genommen hat, zieht sich irgendwann wieder zusammen, kehrt zurück ins Zentrum. Wir leben in einer Zeit, in der es bis zur Corona-Krise immer nur um Expansion ging – höher, weiter, schneller – die Wirtschaft sollte unendlich wachsen, wir wollten immer mehr. Spanda erinnert daran, dass die Dunkelheit der Kontraktion, in der sich Bestehendes auflöst, genauso wichtig ist. Denn die Kontraktion ist immer auch der Beginn von etwas Neuem.
Alle, die sich für Yoga-Philosophie im allgemeinen und Tantra im speziellen interessieren, werden ihre helle Freude an diesem Buch haben.
Diana Sans. Das grosse JA zum Leben! Tantra als Weg zu innerer Freiheit. Königsfurt-Urania Verlag 2019. 125 Seiten, Fr. 27.90