Was, der Dalai Lama ruft zur Wut auf? Ja, und er ruft zugleich dazu auf, diese enorme Kraft kreativ zu nutzen. Er unterscheidet zwischen der förderlichen Wut, z.B. gegenüber sozialer Ungerechtigkeit, und der destruktiven Wut, die lediglich in Hass mündet. Er konstatiert: «In der realen Welt ist Ausbeutung eine Tatsache und es klafft eine ungerechte Lücke zwischen arm und reich».
Wird ein Buddhist mit Armut oder Ungerechtigkeit konfrontiert, sollte er nicht gleichgültig bleiben, sondern die darüber entstehende Wut energetisch und energisch in Tatkraft wandeln, um Ungerechtigkeiten auszugleichen. Die Motivation dazu kommt aus dem Mitgefühl, das sich nicht in Ritualen erschöpfen darf.
Der Dalai Lama kritisiert die bei manchen Buddhisten herrschende Losgelöstheit, die eigentlich eine Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid in der Welt sei. Er verweist auf die christliche Lehre, die Caritas predige und karitative Institutionen hervorgebracht habe. Der Buddhismus könne sich ein Beispiel an den christlichen Brüdern und Schwester nehmen.
In dem auf Gesprächen mit dem japanischen Kulturanthropologen Noriyuki Ueda basierenden Buch spricht das geistliche Oberhaupt der Tibeter direkt die Nöte der heutigen Zeit an und sagt mit seinem typischen Lachen: «Ich bin nicht nur ein Sozialist, sondern auch ein Linker, ein Kommunist – in Bezug auf die Sozialökonomie. Ich bin ein Marxist. Meines Erachtens stehe ich weiter links als die chinesischen Führer. Sie sind Kapitalisten.»
Der Dalai Lama fordert direkt zum Handeln auf: Wir sollten Mitgefühl nicht nur theoretisch einüben, sondern Taten folgen lassen.
Adelheid Ohlig
Dalai Lama. Be angry! Die Kraft der Wut kreativ nutzen. Allegria Verlag 2020. 128 Seiten, Fr. 21.90