Autorin: Adelheid Ohlig
Vertrauen – darauf gründen wir Gemeinschaft. Darauf gründet Gesellschaft. Ein kostbarer Wert, der nicht in Geld bewertet werden kann. Dieses Buch entstand, weil die Autorin ihrer Mutter zuhörte und ihre Worte ernst nahm.
Ausgiebige Gespräche mit ihrer Mutter brachten Anita Blasberg, Jahrgang 1977, Redakteurin bei der «Zeit» dazu, das Phänomen des Vertrauensverlusts in Deutschland zu erforschen. Denn ihre Mutter, früher interessiert, engagiert und involviert in der Politik, hatte das Vertrauen in die Regierenden verloren. Sie fühlte sich weder gesehen noch gehört. Sie konnte nicht erkennen, wo es um sie, die Bürger:innen des Landes ging. Sie sah: es ging um Zahlen, um Wirtschaftswachstum, um Wirtschaftlichkeit. Ob dabei Arbeiter:innen entlassen wurden, Kranke frühzeitig das Spital verlassen mussten oder Alte nicht mehr gepflegt wurden, schien keine Rolle zu spielen.
Blasberg machte sich auf und sprach mit verschiedenen Menschen: zum Beispiel einer Hamburger Klinikärztin, einer Baumaschinenzeichnerin aus Halle, einer Stadtkämmerin oder einem Ministerialbeamten. Sie las die Programme der Parteien, studierte die Reden von Politiker:innen und Beratern.
Ihr eigenes Weltbild geriet ins Wanken: «Wie oft hatte ich die düsteren Prophezeiungen (der Mutter) als paranoid abgetan, sie dem Pessimismus zugeschrieben, der in meinen Augen mittlerweile ihre Wahrnehmung strukturierte? Doch in vielem hatte sie recht behalten. Das Bargeld: war tatsächlich auf dem Weg abgeschafft zu werden. Der Tesla und viele andere smarte Dinge: gaben wirklich unsere Daten weiter.»
Anita Blasberg blieb am Thema, hörte ihrer Mutter tagelang zu, fragte sie, was sich ändern müsse, damit sie wieder Vertrauen gewinne. Sie fragte dies auch ihre anderen Gesprächspartner:innen und merkte: die Menschen haben Ideen. Sie wollen eine gerechtere Gesellschaft, sie sind bereit für Änderungen, für Wandel. Eine postkapitalistische Wirtschaftsordnung scheint den meisten erstrebenswert und machbar. Politiker:innen sollten sich als Vertretung der Wählerschaft sehen und nicht als Repräsentanten des Machtapparats. Das wäre schon mal ein Anfang. Das Umdenken hat längst begonnen!
Anita Blasberg. Der Verlust. Warum nicht nur meiner Mutter das Vertrauen in unser Land abhandenkam. Rowohlt Verlag 2022. 400 Seiten, Fr. 36.90