Ja, ich fühle mich eingeladen, voller Freude eingeladen. Doris Dörrie erzählt von sich und das ermuntert mich – dank ihrer am Schluss jedes Kapitels formulierten Fragen – auch das Meine zu schreiben. Nicht unbedingt zum Veröffentlichen, sondern zum Klären, zum besseren Verständnis des eigenen Lebens.
Dank des Atems leben wir. Bewusstheit macht das Leben intensiver. Schreiben führt in die Tiefe. Doris Dörrie erzählt, ich lausche lesend und werde angeregt, ähnlichen Ereignissen in meinem Leben nachzuspüren. In banalen Alltäglichkeiten eröffnen sich Welten: Frau B., die kaum noch laufen kann, findet trotz der Mühsal des Wegs in ihrem Einkaufen Abenteuer. Dörrie findet einen Einkaufszettel und fantasiert, was die Kombination Blumen, Pril, Erbsen und Q-Tips für einen Hintergrund haben könnte. So entstehen Geschichten. Zufällige Worte beschwören Erinnerungen.
Die Autorin beobachtet sich und andere, die nahe wie die ferne Umgebung, sie lotet die Vergangenheit aus, blickt in die Zukunft. Jedes Kapitel zeigt einen anderen Aspekt der Schreiberin, fördert eine andere Facette des Lebens zutage.
«Schreiben ist Unterwassertätigkeit, ein Abtauchen in Regionen, die einem unbekannt sind oder die man vergessen hat. Man entfernt sich von der Welt über Wasser und darf nicht in Panik geraten. Man taucht ab in das eigene Leben. In das Leben, das man wirklich hat, nicht das, das man sich vielleicht wünscht. Man ist mit einem Mal dort, wo einem niemand zuschaut. Ganz bei sich. Ruhig weiteratmen! Weiterschreiben. Weitermachen. Jeder Tag ist ein guter Tag.»
Adelheid Ohlig
Doris Dörrie. Leben, Schreiben, Atmen. Eine Einladung zum Schreiben. Diogenes Verlag 2019. 288 Seiten, Fr. 24.-