Sprache bestimmt das Bewusstsein. Umgekehrt stimmt es auch: Bewusstsein bestimmt unsere Sprache. Kübra Gümüşay lockt uns mit diesem Buch auf die Fährte der Sprache, die unser Denken prägt und unsere Politik bestimmt.
Eine gerechte Gesellschaft zeichnet sich auch durch die Wortwahl aus. Wenn ich nicht angesprochen werde als die, die ich bin, werde ich nicht gesehen. In unserer Sprache ist es wichtig zu differenzieren, die Möglichkeiten zu nutzen, welche die «der, die, das»-Sprache bietet.
Gümüşay führt locker von der Macht der Sprache zu den Lücken, die durch einen Absolutheitsglauben entstehen. In ihren klugen Ausführungen liegt Potential: werden wir uns unserer Sprache bewusst. Zahlreiche Querverweise stützen die Darlegungen der Autorin, die von ihrer Sehnsucht nach einer menschlichen Sprache ausgehen. Sie sehnt sich nach einer einbeziehenden Sprache, einer Sprache, die Differenzierung und Gemeinschaft zulässt, einer Sprache, die unsere Welt nicht begrenzt, sondern unendlich weit öffnet und Freiheit schenkt. Erleichternd empfinde ich ihren Hinweis, dass wir erst auf dem Weg dazu sind und Fehler machen werden, Fehler machen dürfen, kritisieren dürfen, ohne schon gleich Lösungen parat zu haben. Ohne Fehler hätten wir nie etwas gelernt. Auch dank unserer Fehler lernen wir die Welt und uns selbst kennen.
Ich wünsche Büchern dieser Art grosse Verbreitung, um ein gerechtes, gütiges, wertschätzendes Miteinander entstehen zu lassen.
Adelheid Ohlig
Kübra Gümüşay. Sprache und Sein. Carl Hanser Verlag 2020. 208 Seiten, Fr. 28.90