Verzauberung ist keine Zauberei! Die Dichterin Mascha Kaléko hat mich mit ihrem Gedicht „Sozusagen grundlos vergnügt“ wachgerüttelt und daran erinnert, dass unser Leben mit jeder Menge Zauber erfüllt ist, wenn wir ihm aufmerksam, offen und neugierig begegnen. Ein Wortspiel für ein ansteckendes Gefühl und die kleinen Wunder des Lebens.
Sie kommen meist ganz überraschend: Diese Tage, an denen alle Farben intensiver leuchten als sonst, die Menschen mich anlächeln und ich mir sicher bin, gerade mitten ins Paradies gestolpert zu sein, obwohl eigentlich sonst noch alles genauso aussieht wie gestern. An diesen Tagen kann keine Schreckensmeldung mein inneres Feuer stören, weil es einfach grundlos Funken versprüht, wie das seinem Wesen entspricht.
Viele nennen diesen Zustand „im Flow sein“, Skeptiker würden vielleicht eher von einer tranceartigen Wahrnehmungsverschiebung sprechen und manche behaupten jetzt sicher, ich sei verliebt und habe deshalb eine übermässige Endorphinausschüttung im Blut. Warum aber können wir nicht einfach mal so – eben völlig grundlos – in das Leben verliebt sein? Unsere Glückshormone sind dann zwar unkontrollierbar ansteckend, aber dabei völlig gefahrlos und sogar sehr nützlich für unsere Mitmenschen!
Ich beschreibe diese Zustände von Glück, das keinen konkreten Auslöser braucht, gerne als Verzauberung. Verzauberung kommt plötzlich und unbemerkt, wie ein Schmetterling, der neben mir auf der nächsten Blüte sitzt und den ich erst dann bemerke, wenn ich meine Umgebung aufmerksam beobachte. Verzauberung braucht keinen Lärm und keine grossen Ereignisse. Verzaubert sein kann ich auch nicht herbeizaubern. Dieses Lebensgefühl ist manchmal einfach da und verschwindet dann auch wieder wie eine Seifenblase, die eben noch in Regenbogenfarben in der Sonne funkelt und sich dann am nächsten Baumzweig ganz wörtlich in Luft auflöst. Verzauberung ist eben echte Zauberei.
Eines jedoch ist wirklich bemerkenswert an dieser angenehmen Weggefährtin. Wenn der Tag einmal mit ihr begonnen hat, ist sie mir meistens treu und begleitet mich bis zur Dunkelheit. Sie hat dann sogar eine unglaubliche Fähigkeit zur Ausdehnung und scheint plötzlich überall zu sein. Im Himmel, der heute viel himmelblauer ist als sonst, in der frischen Luft beim ersten Schritt nach draussen, in den Flügelschlägen der Vögel, die ich aus dem Zugfenster heraus beobachte, und auch an den bunten Graffittiwänden kann ich sie heute sehen – dort wo gerade gestern noch viel mehr graue als bunte Wände waren.
Dieses zauberhafte Vorgehen bewirkt, dass ich die Welt durch einen anderen Filter wahrnehme und meinen inneren Empfangsregler so einstelle, dass alles was ich sehe, höre und wahrnehme dieses Gefühl der Verzauberung immer weiter verstärkt. Irgendwann kann sich kein Hindernis mehr einem wirklich zauberhaften Tag in den Weg stellen. Ich weiss nicht wie das bei dir ist, aber in meinem Fall hat die Verzauberung immer zwei Begleiterinnen dabei: die Dankbarkeit und die Freude. Die drei müssen wirklich gute Freundinnen sein, denn immer wenn die Verzauberung mich trifft, hat mich die Dankbarkeit auch gleich fest im Griff und die Freude schlägt fröhlich Purzelbäume in meinem Inneren.
Manchmal kommt sie scheinbar über Nacht, die Verzauberung. Mal bleibt sie lange und dann wieder nur kurz, wie ein lieber Gast, der sich nach ein paar gemeinsamen Stunden wieder verabschiedet. Inzwischen vermute ich, dass sie eigentlich immer ganz in der Nähe ist und mich öfter mal besucht. Allerdings vergesse ich aus Versehen häufig, ihr die Tür zu öffnen, und manchmal ist der Gedankenlärm des Alltags in meinem Kopf so gross, dass ich sie gar nicht klopfen höre.
Ich habe deshalb beschlossen, öfter mal eine Pause zu machen und genau hinzuhören. Denn was gibt es Schöneres, als mit der Verzauberung durch den Tag zu wandern und dabei auch noch ganz ungefährlich ansteckend zu sein!
Tina Köhler
www.tinajamilakoehler.ch
Sehr schöner Artikel, weiter so!
Danke liebe Claudia, das freut mich zu lesen :)!