Der Tod ist nach wie vor ein Tabuthema, unser Umgang damit voller Widersprüche. Einerseits ist die Welt voller Erzählungen über den Tod. Abstrakt und weit weg ist der Tod ein gern gesehener Gast in unserem Leben: Krimis, Thrillers und True Crime sind als Bücher, Filme oder Podcasts beliebt. Doch sobald er in unser Privatleben eindringt, sind viele überfordert und blocken ihn ab. Es ist zwar okay, eine erschossene Leiche bei der Gerichtsmedizinerin in der TV-Serie zu sehen, doch den verstorbenen Grossvater in der Aufbahrungshalle lieber nicht.
Wir wissen natürlich, dass wir sterben werden. «Leben heisst, schwanger zu sein mit dem Tod», sagt die Sterbeamme Karin Simon. Trotzdem schaffen wir es, unsere eigene Sterblichkeit zu verdrängen und so zu tun, als ob sie uns nicht betreffe.
Im alten Rom musste ein Sklave hinter dem siegreichen Feldherrn sitzen, einen Gold- oder Lorbeerkranz über dessen Kopf halten und ihn ununterbrochen mahnen: «Memento mori» – «Bedenke, dass du sterben musst». Ähnliches sagt die Palliativmedizinerin Eva Masel: «Ist das Lebensende gekommen, führt kein Weg zurück. Der Tod ist kein Nebenschauplatz.»
Die Vorstellung vom Tod ist oft bedrohlicher als die Wirklichkeit. Deshalb lohnt es sich, sich immer mal wieder mit dem Sterben zu beschäftigen, was in der östlichen Philosophie viel verbreiteter ist als bei uns im Westen. Die buddhistische Weisheitslehrerin Pema Chödrön zum Beispiel ermuntert in ihrem Buch «Wie wir leben, so sterben wir», den unmöglichen Wunsch nach Beständigkeit und Stabilität loszulassen.
Vielmehr geht es darum, die Vergänglichkeit anzunehmen, die unser Leben prägt: alles verändert sich in jedem Augenblick, alles unterliegt dem Wandel. Die Natur, die Jahreszeiten, der Sonnenauf- und -untergang zeigen uns das immer wieder. Ebenso kleine Alltagsbegebenheiten: der Kinobesuch hat einen Anfang und ein unwiederbringliches Ende, die Begegnung mit einem lieben Menschen wird so nie wieder stattfinden. Wir sterben täglich kleine Tode – und die meisten sind überhaupt nicht schlimm.
Die Hospizkrankenschwester Hadley Vlahos hat bei ihrer Arbeit hat sie die Erfahrung gemacht, dass viele Menschen kurz vor dem Tod verstorbene Verwandte sehen. Für sie ist klar, dass unsere Lieben uns abholen, wenn die Zeit gekommen ist. Das sei nicht das Resultat einer chemischen Reaktion im Gehirn, die sich in unseren letzten Stunden einstelle. «Es besteht ein Riesenunterschied zwischen Halluzinationen und den Besuchen – ich habe beides erlebt. Bei Halluzinationen sieht man alles Mögliche, von der Spinne bis zu sich bewegenden Wänden. Diese Besuche aber sind für die erlebenden Patienten absolut deutlich und konkret. Halluzinationen lösen Ängste, ja Panik aus. Diese Besuche aber schenken Ruhe und Frieden.»
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