Diana Sans ist eine Expertin zum Thema Tantra und hat verschiedene Bücher dazu geschrieben. Auch in ihrem neusten Buch vermittelt sie das Tantra auf eine Art und Weise, die diese wunderbare spirituelle Praxis mitten in unser Leben bringt. Denn diese lebensbejahende, weltzugewandte Spiritualität lehrt uns die Heiligkeit des Alltäglichen. Sie entfaltet sich in den banalsten Handlungen und Situationen, weil sie alle Aspekte des Lebens integriert.
Die tantrische Lehre heilt die Brüche und Spaltungen – in uns selbst ebenso wie in unserer zunehmend fragmentierten und entzauberten Welt – und führt uns zurück zur Ganzheit, aus der wir kommen. Und sie erinnert uns immer wieder daran, bedingungslos «Ja!» zum Leben zu sagen, mit dem Leben zu tanzen – egal, wie es gerade daherkommt.
Ein Symbol für die schrecklich-schöne Vielfalt unseres Daseins sind die zehn grossen Weisheitsgöttinnen des Tantra, die Mahavidyas. In ihren anmutigen und düsteren Gestalten begegnet uns das Leben in seinem ganzen Spektrum. Die tantrischen Göttinnen verkörpern eine lebendige, ganzheitliche Spiritualität, die uns aus der Komfortzone unserer gewohnten Vorstellungen herausholt und zugleich eine zeitlose Weisheit offenbart.
Da ist zum Beispiel Kali, die dunkle Mutter, in der uns alles begegnet, was wir am meisten fürchten: Auflösung, Tod und Dunkelheit. Die Symbolik der dunkelsten der Weisheitsgöttinnen lässt keinen Zweifel zu: Blutdürstig tanzt sie mit wildem Haar auf Verbrennungsstätten und feiert den Tod als Ursprung des Lebens. Sie konfrontiert uns mit unserer eigenen Vergänglichkeit und erinnert uns daran, dass wir am Ende nichts festhalten können, und dass sich alles, wirklich alles, woran wir hängen, in ihrer Dunkelheit auflösen wird. Kali nimmt uns alles und führt uns dadurch in die vollkommene Fülle des Seins.
Kamala wiederum symbolisiert die süsse Fülle des Lebens. Kamala bedeutet Lotos – die Göttin ist Sinnbild für das blühende Leben in seiner inneren und äusseren Entfaltung, für Fruchtbarkeit, Fülle und Freude. Sie verkörpert die Schönheit in ihrer vollendeten, manifestierten Form. Leuchtend durchwebt sie die Schöpfung als perlendes Gelächter, voller Freude und Glückseligkeit. Kamala lässt uns das Göttliche in allem erkennen, besonders in der Üppigkeit der Natur.
Kali und Kamala sind die beiden Pole im Spektrum des Lebens: die eine verkörpert das Nichts, die andere die Fülle der Schöpfung. Damit sind sie die zwei Seiten einer sich drehenden Medaille – sind also eins. Genau darum geht es im Tantra. Zu dieser Einheit zurückzufinden aus der wir kommen, zu der wir zurückkehren und die wir in jedem Moment sind. Dieses Eine, das in stiller Glückseligkeit in allem tanzt.
Die zehn Göttinnen des Tantra brechen mit Stereotypen und laden uns ein, unsere tiefsten Wünsche, unsere Ängste und unsere Suche nach Bedeutung neu zu bewerten. Dabei helfen die Reflexionsfragen und die Meditationen am Ende jedes Kapitels.
Diana Sans. Mit dem Leben tanzen. Die 10 Weisheitsgöttinnen des Tantra als Begleiterinnen durch Licht und Dunkelheit. O.W. Barth Verlag 2024. 223 Seiten, Fr. 38.90