Tantra – das Wort ist heutzutage in aller Munde. Doch zugleich wimmelt es von falschen Vorstellungen – besonders bezüglich sexueller Praktiken -, und die wenigsten wissen Genaueres über diese indische spirituelle Tradition. Tatsächlich ist Tantra die Grundlage des Hatha-Yoga und eine der Welt freudvoll zugewandte spirituelle Praxis.
Die Art, wie heutzutage – besonders im Westen – Yoga praktiziert wird, hat sich gegenüber früher stark verändert. Trotzdem kann er in vielerlei Hinsicht auf die klassische Tantrik-Tradition zurückgeführt werden. Die tantrische Tradition ist der Welt zugewandt und ehrt den Körper als Tempel – als Ausdruck des Göttlichen und zugleich als ein wichtiges und notwendiges Mittel, um das Leben in all seinen Formen zu erfahren.
Deshalb entwickelte der bekannteste Shaiva Tantrik-Guru Matsyendra mit Hatha-Yoga einen vollständigen spirituellen Pfad aus Pranayama (Atemübungen), Meditationen und über 84 yogischen Haltungen (Asanas), um Kundalini, die spirituelle Energie, zu aktivieren und zu erhöhen.
Klassisches Tantra ist eng verbunden mit dem non-dualen Shivaismus. Die aus Nordindien stammende Frömmigkeitsbewegung hiess alle Menschen willkommen – egal welchen Geschlechts oder welcher Kaste – und sah alle Praktizierenden als von Natur aus gleich an. Tantra-Praktizierende waren nicht verpflichtet, ihre Arbeit, ihren Besitz oder ihr Familienleben aufzugeben. Tantra war hauptsächlich ein Pfad für «Haushälter», Asketen waren in der Minderheit.
Die damaligen Praktizierenden hatten also mit ähnlichen Herausforderungen des täglichen Lebens zu kämpfen wie wir heute. Das erklärt, wieso die Lehre so zeitlos und zugleich modern ist: Sie bringt die Spiritualität auf radikale Weise mitten ins Leben und umarmt dieses in all seinen Facetten.
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Buchtipp: Christopher Wallis. Licht auf Tantra. Die Philosophie hinter dem modernen Yoga. O.W. Barth Verlag 2023.