Die Berner Yogalehrerin und Autorin Elisa Malinverni hat ein interessantes Buch über Sucht geschrieben. Sie zeigt darin, wie Yoga dabei helfen kann, das Suchtverhalten zu überwinden. «Wir alle haben Süchte», sagt sie. Die im Yoga entstehende Selbstbeobachtung helfe, hinzuschauen und eigene Muster zu verändern.
Elisa Malinverni ist nicht nur eine versierte Yogalehrerin mit viel Erfahrung und einem achtsamen Blick aufs Leben, sondern auch eine Geschichtenerzählerin. Es sind nicht einfach Fakten und Ereignisse, die sie aufzählt, um einen Einblick in ihr Leben zu geben. Vielmehr entstehen kleine Geschichten und malt sie Bilder, die etwas in uns anrühren und die Türen öffnen, um mit den eigenen Geschichten und Erinnerungen in Berührung zu kommen.
So ist ihr Buch «Yoga for Recovering Addicts – Stories of Hope and Ways of Self-Healing» durchaus ein Sachbuch. Doch das Herzstück sind auch hier die Geschichten der Menschen, die sie interviewt hat. Menschen, die sich zeigen und damit verletzlich sind. Die dank ihrer Yoga- oder Meditationspraxis gewaltige Transformationen erlebt haben. Sich aus dem tiefsten Loch herausgeholt haben und nun viel geben, kreativ sind.
Spannend ist für Elisa Malinverni, dass Sucht ein Konzept repräsentiert, das in der Yogaphilosophie eine grosse Bedeutung hat: Verlangen oder Gier – die urmenschliche Eigenschaft nach «ich will noch mehr». «Sucht ist eine extreme Form dieses Verlangens. Sie verdeutlicht diese Eigenschaft so gut, dass wir aus Süchten ganz viel lernen können.»
Als sie bei einem Seminar «Yoga for Writers» ihrem Mentor begegnete, offenbarte dieser in der Ausschreibung, er sei ein abstinenter Alkoholiker. Yoga war für ihn ein entscheidender Faktor gewesen, um abstinent zu werden und vor allem abstinent zu bleiben.
Diese Aussage macht für sie viel Sinn: «Im Yoga beginnen wir den Körper zu beobachten. Irgendeinmal haben wir den Raum, um den Atem zu beobachten, und irgendeinmal haben wir noch mehr Raum und können unsere Gedanken und Emotionen beobachten.» Selbstbeobachtung ist eine grosse Chance bei allen Krisen und Problemen, und bei Sucht ganz speziell. Plötzlich erkennen wir das Muster: «Ich bin gestresst und habe Lust auf ein Glas Wein. Ich bin überflutet von den Anforderungen der Kinder und beginne Schokolade zu essen. Ich habe eine Deadline und scrolle als Bewältigungsstrategie auf den sozialen Medien herum.»
In ihrem Buch erinnert Elisa Malinverni daran, dass wir alle in irgendeiner Form süchtig sind: nach den sozialen Medien, Essen, Einkaufen, Pornographie, Netflix, Fitness, usw. Wenn man sich dies bewusst macht, entsteht ein neues Mitgefühl für Menschen, die starke Drogen konsumieren.
Das informative Buch stellt die Sucht in einen grösseren Zusammenhang und zeigt, wie Yoga dazu beitragen kann, die Wahrnehmung nach innen und damit auf die eigenen Muster zu lenken. Erkennt man diese, wird es möglich, abstinent zu werden und die Abstinenz beizubehalten.
Die zwölf Menschen, die im Buch zu Wort kommen, erzählen, wie ihnen der Weg in ein suchtfreies Leben gelang – und verheimlichen auch nicht, dass Yoga durchaus eine Art Ersatzdroge sein kann. Santina zum Beispiel nimmt kein Heroin mehr und hat ihre Essstörungen im Griff, doch sie braucht jetzt jeden Tag Ashtanga-Yoga.
Im praktischen Teil geht es darum, wie Yoga genutzt werden kann, um aus einer Sucht herauszukommen, und welche Stolpersteine und Suchtfaktoren einem auch auf dem Yogaweg begegnen können. Zudem beinhaltet das Buch vier kurze Yogasequenzen, die Leser:innen sich einfach aneignen und und gut zu Hause praktizieren können.
Das ganze Porträt finden Sie in der aktuellen Ausgabe 1/23.