Autor: Martin Mittwede
Im geistigen Yoga der Meditation und der Achtsamkeit spielt die innere Unterscheidungskraft eine grosse Rolle. Sie ist die Kraft in unserem Inneren, die genau weiss, wie es um uns steht. Sie ist die innere Intuition – aber nicht im Sinn eines nebeligen Bauchgefühls, sondern als grosse Klarheit und Fähigkeit der Ein- und Durchsicht.
In zahlreichen Yoga-Büchern wird die innere Unterscheidungskraft (Buddhi), die einen weiblichen, empfangenden Charakter hat, mit Intellekt übersetzt, was eher irreführend ist. Das intellektuelle Denken ist eine Funktion des Manas, unseres aktiven bewussten Geistes. Buddhi funktioniert wesentlich ganzheitlicher. Sie schaut aus einer übergeordneten Perspektive und betrachtet die Lebenswirklichkeit in einem grösseren Zusammenhang.
Im Yoga üben wir regelmässig das achtsame Hinschauen, das Hineinfühlen in den Körper: «Wie geht es mir gerade? Was hat diese Übung mit mir gemacht?» Auf der geistigen Ebene brauchen wir genau diese Beobachterperspektive, um zu einer grösseren Klarheit über unser Leben zu gelangen. Die Stärkung, die wir durch die Yogapraxis und die damit verbundene Lebensführung erhalten, sollte uns nicht dazu verleiten zu denken, wir könnten immer alles allein schaffen. Wenn es ein gravierendes Thema im Leben gibt, reichen Meditation und spirituelle Praxis meist nicht aus, um dieses zu lösen.
Wir alle haben unsere blinden Flecken. Wenn etwas in unserem Leben im Ungleichgewicht ist, sind wir immer involviert, das heisst, es fällt uns schwer, die Situation objektiv aus einer Beobachterperspektive heraus zu betrachten. Das Offensichtliche können Freund:innen leicht erkennen, aber für uns selbst liegt es im Dunkeln und wir rätseln herum, was gerade los ist. In den spirituellen Traditionen wird das häufig Täuschung genannt, ein Zustand, in dem sich die Perspektiven verwirren. Spirituelle Beratung und Begleitung kann in solchen Momenten eine wichtige Unterstützung für unseren Weg sein.
Mehr zu diesem Thema in der aktuellen Ausgabe 2/22.