Autor: Rahimo Täube
Wenn in der Yogapraxis der Schwerpunkt zu stark auf das Einssein gelegt wird – das auf metaphysischer Ebene sinnvoll ist -, besteht die Gefahr, dass wir uns im Alltag zu wenig abgrenzen. Die Yogamatte bietet uns die Möglichkeit, einen Raum für uns zu schaffen, in dem wir uns sicher fühlen – und lernen, dieses Gefühl bewusst mit nach draussen zu nehmen.
Yogaübende berichten oft, dass sie sich nach intensiver Praxis nicht nur gestärkt, sondern auch besonders durchlässig, aufgeweicht und offenherzig erleben. Sie fühlen sich «mit allem verbunden» und geradezu «grenzenlos». Sie sind so auf Harmonie eingestimmt, dass sie bei auftauchenden Konflikten nicht mehr in der Lage sind, sich angemessen abzugrenzen.
Doch es ist eine Tatsache, dass wir uns im konfliktreichen Alltagsleben häufig positionieren und gegenüber anderen abgrenzen müssen. Die meisten können eine Grenze ziehen, überspringen diese dann aber, um das Gegenüber mental zu beschimpfen und wegzuschubsen.
Damit geben wir ihm unnötig viel Energie, stärken es und schwächen uns selbst. So steht unser Gegenüber weiterhin im Fokus – und nicht das eigene Selbst. Wir bleiben dem uns anerzogenen, christlich-bürgerlich-braven Verhaltensmuster verhaftet: Uns an den anderen zu orientieren, die anderen wichtiger zu nehmen als uns selbst. Und uns selbst im anderen zu verlieren, uns selbst zu vergessen.
Es geht also nicht nur darum, Grenzen zu ziehen, sondern – mit Hilfe der Grenzen – um uns herum einen Raum zu kreieren, eine Atmosphäre, wo wir uns sicherer fühlen. In dieser schützenden Hülle haben wir es leichter, uns mit unserem inneren Raum zu verbinden.
Die Chance, das zu erleben, bietet die Yogamatte. Je meditativer und bewusster wir darauf unseren Yoga gestalten, desto empfindsamer werden wir für das, was auf unsere innere Bühne einwirkt. Zugleich werden wir aber auch verletzlicher und müssen uns noch mehr schützen.
Mehr zum Thema Grenzen ziehen finden Sie in der aktuellen Ausgabe 2/22.