Ronja von Wurmb-Seibel hat ein ganz wunderbares Buch geschrieben. Ein Buch, das auch in Schulen gelesen werden sollte. Denn welch eine verheerende Wirkung negative Nachrichten und Geschichten auf uns haben, kann nicht früh genug thematisiert werden.
Die mehrfach ausgezeichnete Journalistin lebte knapp zwei Jahre in Kabul und erlebte dort am eigenen Leib, wie schlechte Nachrichten uns den Boden unter den Füssen wegziehen können. In ihrer Verzweiflung und Not lernte sie, Geschichten so zu erzählen, dass sie Mut machen. «Scheisse plus X» nennt sie die Formel, die Geschichten verändern und uns zeigen, dass es für jeden Missstand einen Ausweg gibt.
Es geht nicht darum, Kriege, Katastrophen oder soziale Ungerechtigkeit totzuschweigen. Vielmehr sollen Geschichten so erzählt werden, dass sie Mut machen. Dass sie eine Gebrauchsanleitung dazu geben, wie wir als Gesellschaft und einzelne Menschen weiterkommen. Die Psychologin Jodie Jackson sagt: «Wer aufzeigt, dass ein als unlösbar geltendes Problem lösbar ist, übt Druck aus auf Regierung und Opposition – und hinterfragt so die Machtverhältnisse.»
In der Regel schaffen es die Ereignisse in die Schlagzeilen, die innerhalb eines Tages passieren. Gesellschaftliche Fortschritte sind jedoch langwierige Prozesse. Sie bringen langsame, beinahe unbemerkte Veränderungen mit sich und sind selten eindeutig abgeschlossen. So dauerte es 90 Jahre, bis die Arbeiterbewegung die tägliche Arbeitszeit von 15 auf acht Stunden heruntergebracht hatte.
Wenn wir den Lauf der Welt von Tag zu Tag betrachten, von einer Gewalttat zur nächsten Naturkatastrophe und zum weiteren Kriegsgräuel irgendwo auf der Welt, verlieren wir schnell den Überblick. «Wir merken dabei gar nicht, dass die Welt auf lange Sicht betrachtet ein immer sicherer und besserer Ort wird», schreibt die Autorin.
Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass unser Gehirn evolutionsbedingt stärker auf Gefahren fokussiert ist als auf Dinge, die uns guttun. 60 bis 70 Prozent unserer Gedanken sind negativ. So erstaunt es nicht, dass wir denken, dass immer mehr Menschen bei Naturkatastrophen sterben (es gibt zwar mehr Naturkatastrophen als vor hundert Jahren, doch nur halb so viele Menschen sterben daran), oder dass die Rate der Selbsttötungen in den letzten 20 Jahren gestiegen ist (sie sank um 25 Prozent). Wir sehen, hören und lesen von diesen Themen und ordnen sie falsch ein.
Umso wichtiger ist es laut Ronja von Wurmb-Seibel, den Nachrichtenkonsum zu verändern. Negativen Nachrichten den Rücken zu kehren und auch im Privaten anzufangen, einander eine neue Art von Geschichten zu erzählen. Das Augenmerk auf positive Erlebnisse, Erfolge und Lösungsansätze zu richten. Sie zeigt an konkreten Beispielen, wie es geht – und regt mit kleinen Gedankenexperimenten für den Alltag an, den eigenen Medienkonsum zu verändern. So wird schnell deutlich, warum es sich lohnt, einen gesünderen Umgang mit Nachrichten zu finden und wie es gelingt, die Welt mit anderen Augen zu sehen.
«Wie wir die Welt sehen» ist ein grossartiges Buch, dem ich ganz viele Leser*innen wünsche.
Ronja von Wurmb-Seibel. Wie wir die Welt sehen. Was negative Nachrichten mit unserem Denken machen und wie wir uns davon befreien. Kösel Verlag 2022. 238 Seiten, Fr. 25.90