Ojuna Altangerel-Wodnar ist eine mongolische Schamanin und eine westlich ausgebildete Ärztin, die am Bodensee praktiziert. Die Kombination dieser beiden Aspekte der Heilung machen ihr Buch so interessant. Denn sie gibt nicht nur Einblick in das Heilwissen der mongolischen Nomaden, sondern weist immer wieder auf die wichtigen Errungenschaften der Schulmedizin hin. Manchmal ist es notwendig, eine Operation durchzuführen oder ein Antibiotikum zu nehmen, um dem Körper bei der Heilung zu helfen. Und manchmal geht es um etwas ganz anderes.
Entscheidend ist für Ojuna Altangerel-Wodnar, dass wir unseren Blick auf die Krankheit verändern: «Krankheit ist kein Zufall, sie ist kein Pech und schon gar keine Strafe. Sie ist eine Art Wegweiser. Sie macht uns auf Dinge aufmerksam, die man ohne sie nicht bemerkt hätte.»
Heilen bedeutet deshalb nicht, die Krankheit loszuwerden, sondern sich ihr hinzugeben, ihr die Hand zu schütteln. Heilen ist nicht die Sache der Ärztinnen, sondern der Patient*innen. Ohne deren Selbstheilungskräfte sind Ärzte machtlos.
Im schamanischen Verständnis ist Krankheit ein Geschenk. Sie ist eine Energie, die sich umwandeln lässt, um die Dinge von der Wurzel her zum Besseren zu wenden. Ganz entscheidend ist dabei, dass Ordnung in die Ahnenreihe kommt. Darauf geht die Autorin immer wieder ein: dass Kinder oft Schmerzen und Traumata von ihren Eltern oder Grosseltern tragen, die sie krank machen. Erst, wenn deren Ursache gefunden und aufgelöst wird, kann die Heilung beginnen.
Sie nennt denn auch Bert Hellinger als einen ihrer grossen Lehrer, der mit dem Familienstellen in die gleiche Richtung geht. «Ich schaue hinter die Generationen. Ich sehe, wo Krankheit entstanden ist, warum sie ausgerechnet jetzt und bei diesem Patienten ausbricht, und ich weiss, wie er sich davon befreien oder wenigstens gut damit leben kann», schreibt sie.
Anhand von Beispielen aus ihrer Praxis und ihrem eigenen Leben zeigt Ojuna Altangerel-Wodnar, was das konkret bedeutet und wie Heilung kommen kann. Denn Tan-Dom bedeutet, die Krankheit in Bewegung zu bringen. Krankheit ist aus Sicht der Schamanin wie ein Kleber, der etwas im Körper so verleimt, dass die Seele nicht mehr fliessen kann. Wenn sie wieder fliesst, kann die Krankheit gehen.
Ojuna Altangerel-Wodnar. Tan-Dom-Medizin. Wie die Seele durch den Körper spricht. Ein neuer Blick auf Krankheit und Heilung von einer mongolischen Ärztin. Integral Verlag 2021. 272 Seiten, Fr. 28.90