Geht man auf die Suche nach den grossen Texten der Yoga-Philosophie, so führt kein Weg vorbei an der Bhagavadgita. In lebendigem, dialogischem Stil geschrieben, ist sie flüssig zu lesen und erscheint in vielen Teilen leicht verständlich. Gerne als die «Bibel» der Hindus bezeichnet, steht Yoga in vielen Kapiteln nicht Vordergrund, wenn der hinduistische Gott Krishna seinem gelehrigen Schüler Arjuna die bedeutendsten Lehren des Hinduismus offenbart.
In das Buch wurden jedoch zahlreiche Texte der Yoga-Weisheit eingefügt, – und diese Texte haben es in sich. Wie kaum ein anderer Text zeigt die Bhagavadgita den Weg des Yoga von der Matte ins Leben. Im Mittelpunkt steht Karma-Yoga, der Yoga des Handelns. Wer schon einmal ein Yoga-Retreat besucht hat, dem ist Karma Yoga wahrscheinlich vertraut. Man wird in die Küche geschickt, um dort der Köchin beim Schneiden des Gemüses zu helfen, jätet Unkraut im Garten oder muss, wenn man Pech hat, die Toiletten reinigen.
Karma-Yoga meint, «die Sinne durch den Geist» zu zügeln, um dann «ohne Anhaften» handeln zu können. Dieses Zügeln der Sinne beginnt schon mit dem Gang auf die Übungsmatte. Wir kommen aus der Getriebenheit des Alltags und ziehen uns auf die Matte zurück. Die Sinne, die gerade noch bei dem waren, was es noch zu erledigen galt oder bei einem anderen, was gerade noch vermieden werden konnte, werden auf den engen Begrenzungen der Matte festgehalten.
Yoga im ursprünglichen Sinn zu üben heisst, einen geistigen Prozess zu kultivieren. Es gilt von den Anhaftungen an den Erfolg loszulassen, um sich so für die Gegenwärtigkeit des Hier und Jetzt zu öffnen. Es geht darum, die Kraft in der Einfachheit zu erfahren, die allerdings auch schnell wieder schwindet, sobald die Matte verlassen ist und der Alltagstrott die Herrschaft übernimmt.
Die Praxis des Yoga muss jedoch nicht mit dem Verlassen der Matte aufhören. Überall dort, wo wir etwas erreichen wollen und wo diese Früchte des Handelns uns binden, überall dort kann Karma-Yoga weiter geübt werden. Es sind die zahlreichen Alltagssituationen, die zum Übungsfeld werden: Abwaschen, Bügeln und Gartenarbeit bieten sich an, aber auch Wandern, Essen, das Stehen in der Schlange an der Supermarktkasse und das Warten im Stau. In all diesen Situationen ist der Geist auf das Erreichen von Zielen ausgerichtet. Der Geist hängt an den Früchten des Handelns und ist so nicht bei sich selbst.
Mehr zur Bhagavadgita und ihrer Bedeutung für unseren heutigen Alltag findet sich im Text von Eckard Wolz-Gottwald in der aktuellen Ausgabe 1/21.
Am 27./28.11.21 wird er in Bern eine Fortbildung zum Thema „Yogaweisheit leben“ anbieten. Nähere Infos: christinekernen.yahoo.com