Erstaunlich eigentlich, dass die Medizin erst seit Anfang des Jahrtausends den Unterschied zwischen Mann und Frau auch bei Erkrankungen in Betracht zieht. Man kam erst spät darauf zu schauen, wie unterschiedlich Frau und Mann erkranken. Deutlich wurde dies bei Herzinfarkten: Frauen zeigen andere Symptome als Männer. Während letztere schnell behandelt werden, blieben Herzinfarkte bei Frauen länger unerkannt, da sie eben nicht über die bis dahin als typisch geltenden Schmerzen klagten.
Die zwei Medizinerinnen tragen in ihrem Buch zusammen, was es derzeit an Erkenntnissen zu den Unterschieden von Gesundheit und Krankheit bei Frauen und Männern gibt. Diese Unterschiede spielen sowohl in der Diagnostik als auch in der Therapie eine grosse Rolle.
An der Charité in Berlin ist Gendermedizin inzwischen denn auch ein Pflichtfach, anderswo Wahlfach. Die Universität Zürich etablierte gerade ein Curriculum für Gendermedizin.
Die biologischen Unterschiede betreffen nicht nur die Geschlechtsorgane, sondern sind über hormonelle Steuerungen in anderen Körperzellen nachweisbar. Mittlerweile geht man davon aus, dass die genetische Ausstattung zu 60-70 Prozent bestimmte Veranlagungen formt. Dabei findet der Körper Mittel und Wege, um die vererbten Gene zu regulieren und die Funktionsfähigkeit der Zellen immer wieder neu zu ändern.
Auf diese Möglichkeit weisen die Autorinnen wiederholt hin: ein gesunder Lebensstil kann den Einfluss ungünstiger Genkonstellationen abmildern. Das Leben hinterlässt seine Spuren auch auf den Genen. Unterschiedliche Lebensumstände prägen, Gehirnstrukturen bilden sich durch Erfahrungen aus. All dies sei sowohl bei der Diagnostik als auch bei der Therapie zu bedenken. Da mit Vorliebe über negative Folgen von Hormonschwankungen berichtet wird, wissen Frauen oft mehr darüber als über die positiven Möglichkeiten der hormonellen Wellenbewegungen.
Den Autorinnen wollen aufzeigen, wie wir unsere Gesundheit pflegen können: Entscheidend sind Bewegung, gesundes Essen und Psychohygiene. Ausführlich widmen sie sich den Unterschieden von Frau und Mann in Anatomie, Physiologie und Pathologie und erläutern an konkreten Beispielen wie medizinische Behandlungen auf diese Differenz eingehen können.
Adelheid Ohlig
Prof. Dr. med Vera Regitz-Zagrosek, Dr. med. Stefanie Schmid-Altringer. Gendermedizin: Warum Frauen eine andere Medizin brauchen. Mit Praxistipps zu Vorsorge und Diagnostik. Scorpio Verlag 2020. 278 Seiten, Fr. 33.90