Kürzlich übte ich mit meiner Partnerin Yoga. Wir hatten beide einen freien Morgen. Musik von Estas Tonne tönte aus den Lautsprechern, und wir übten beide, jeder für sich. Ab und zu nahm ich aus den Augenwinkeln war, was sie so tat, und irgendwann fiel es mir plötzlich auf: Sie machte es „richtig“. Ungefähr so, wie ich es vor 25 Jahren in meinen Shivananda- und Iyengar-Stunden gelernt hatte. Richtigen Yoga! Und dann meldete sich natürlich die altvertraute Stimme meines eigenen inneren Kritikers, der sofort feststellte: Eigentlich machst du es seit Jahren nicht mehr „richtig“. Fliessend, rund, asymmetrisch, inspiriert – ja, wahrscheinlich. Aber eigentlich, das muss ich zugeben, hat meine eigene Praxis schon lange nicht mehr viel mit der Art zu tun, wie „man“ eigentlich Hatha Yoga übt(e). Und das hängt wahrscheinlich unter anderem damit zusammen, dass ich nur noch selten in Kategorien von „richtig“ und „falsch“ denke, sondern eher in Begriffen wie Sthira und Sukham – Leichtigkeit und Stabilität – oder mich sogar nur noch von der Frage leiten lasse „ist es liebevoll mir selbst gegenüber oder nicht, tut es mir jetzt gut?“. Und dann kommt eben manchmal eine Art klassische Yoga-Asana-Praxis raus – manchmal aber auch nicht. Wohl als Grundbedingung unserer Existenz in einer menschlichen Gesellschaft haben die meisten von uns dieses Bedürfnis erhalten, uns ständig zu vergleichen und in Richtung eines von äusseren Strukturen und Ideen geprägten Idealbildes weiterzuentwickeln. Solange wir dabei die Verbindung zu unseren authentischen Bedürfnissen behalten, ist ja auch nichts falsch daran. Aber wir sollten uns bewusst bleiben, dass genau die Menschen uns oft am meisten inspirieren, die ihren eigenen Regeln gefolgt sind. Finden wir also den Mut, über unsere jahrelang eingeübten Vorstellungen, was „Yoga“ ist, hinauszugehen und in unsere eigene Form hineinzufliessen.
Der Autor hat kürzlich sein neues Buch „On How to Become Your Own Guru“ veröffentlicht (auf Deutsch voraussichtlich ab Frühjahr 2020 erhältlich)