Es gab eine Zeit, da hatte ich das Gefühl, ich hätte die Yogawelt verstanden. Nach jahrelanger Praxis bei unterschiedlichsten Lehrerinnen und Lehrern glaubte ich zu wissen, was Yoga ist und was dazugehört.
Ich war in die Falle hineingetappt, in der so viele Neulinge in den Yogalektionen landen. Nachdem die Asanas eine Weile lang fremd und ungewohnt sind und ihre Sanskritnamen hauptsächlich für Verwirrung sorgen, kommt der grosse Moment: Utthita Trikonasana, die Dreieckstellung, geschieht von selbst, in den Vorwärtsbeugen sind die Zehen nicht mehr soweit vom Kopf weg wie auch schon und bei Vrksasana, der Baumstellung, ist Balance kein Thema mehr. Jetzt, da man die Asanas beherrscht, gehört man zu den Profis und weiss, was Sache ist. Nach einer Zeit der naiven Selbstzufriedenheit merkt man jedoch, dass viel mehr in einem Asana steckt als die äussere Form, und dass selbst an dieser äusseren Form noch bis zum Lebensende gearbeitet werden kann.
Ähnlich geht es mit den Yogastilen. Auch da gibt es immer wieder etwas Neues zu entdecken. Deshalb nutze ich meine Aufenthalte an fremden Orten immer, um eine Yogastunde zu besuchen. Wenn ich kein Studio finde, das Iyengar Yoga anbietet, probiere ich etwas anderes aus – schliesslich hat meine Yogapraxis meinen Körper und meinen Geist flexibel gemacht.
So geniesse ich, wenn die Stunde einmal mit einer Entspannung in der Rückenlage – einem „Ankommen auf der Matte“ – beginnt anstatt mit stehenden Stellungen. Und selbstverständlich freue ich mich, wenn Asanas plötzlich anders heissen als in meinem Heimatstudio. Da kann ich gleich testen, ob mein Körper genug mit der Stellung beschäftigt ist, um meinen Geist abzulenken, der an der befremdlichen Namensgebung herum studiert.
Gelassen nehme ich wahr, dass die wallenden Kleider der Yogalehrerin zwar schön sind, ich aber keine Ahnung habe, wie ihr Körper darunter ausgerichtet ist. Und dass sie so stark mit sich selbst beschäftigt ist, dass sie uns den Rücken zudreht, während sie perfekt in Virabhadrasana I hinunter gleitet, ist für mich ebenfalls kein Problem. Schliesslich bin ich auch mit mir selbst beschäftigt – und zudem singt Jeff Buckley im Hintergrund so schön „Hallelujah“.
Etwas irritierend finde ich einzig, dass die Frau neben mir schmerzlich ihr Gesicht verzieht, als sie in der Kriegerstellung ihr Knie weit über den Fussknöchel hinausbringt. „Greif ein“, befiehlt die Yogalehrerin in mir. „Halte dich still“, sagt die Schülerin in mir. Und mein ach so flexibler Geist flüstert mir zu: „Du hättest besser im Hotelzimmer für dich selbst geübt.“
Ja, dank Yoga bin ich flexibel geworden: ich nähere mich Neuem immer unvoreingenommen an und fälle keine Urteile. Es ist mir jedoch aufgefallen, dass wirklicher Yoga nur in dem Yogastudio stattfindet, das ich seit Jahren besuche. Da habe ich wieder einmal Glück gehabt.