Ich ziehe gerne Karten. Zum Wochenbeginn, zu der Begegnung mit einem Menschen, zu meinen Plänen ebenso wie zu meinen Schwierigkeiten und manchmal einfach so. Weil es so schön sinnlich ist, eine Engels-, Chakra- oder auch Yogakarte in den Händen zu halten.
Kürzlich habe ich mir die Kaligrafie-Karten des vietnamesischen Weisheitslehrers Thich Nhat Hanh* angeschafft. Ein paar Pinselstriche formen sich zu Worten, denen ich Bedeutung gebe und die mich auf meinem Weg leiten oder zumindest begleiten.
Nach den wunderbar faulen Festtagen sass ich am Schreibtisch und machte mir Gedanken darüber, wie ich wieder in die Gänge kommen könnte, wie ich die zahlreichen Yogastellungen, die ich oft als so unerreichbar schwierig empfinde, endlich meistern könnte. Also mischte ich die brandneuen Kalligraphie-Karten auf und zog eine Karte:
„Kein Schlamm, kein Lotos“.
Also das hätte ich jetzt nicht unbedingt hören wollen. Muss mir dieser grossartige Zen-Meister und spirituelle Mönch wirklich auch noch unter die Nase reiben, was sowohl der grosse Yogameister Pattabhi Jois als auch mein Lehrer in der Ausbildung immer wieder gesagt hat? „Übe, und alles andere folgt.“
So gerne ich auf die Yogamatte stehe und mich durch Asanas bewege, Atemübungen mache oder still sitze – manchmal möchte ich einfach auf dem Sofa sitzen, einer dieser obercoolen Stellungen wie Kurmasana (die Schildkröte) oder Tittibhasana (das Glühwürmchen) mit Büchern zu Leibe rücken und sie danach dank meiner intensiven intellektuellen Arbeit beherrschen. Schliesslich ist Kopfarbeit genau so wichtig wie Körperarbeit.
Kopfmensch, der ich bin, ist die Idee, den Yoga nicht über den Körper, sondern über den Kopf zu erfahren, höchst verlockend für mich. Das ist sozusagen wie die Autobahn nehmen. Einmal lesen und dann funktioniert es. Oder auch zwei oder dreimal lesen. Aber nicht jahrelang üben und dann klappt es immer noch nicht.
Nun weist mich Thich Nhat Hanh mit seinen Pinselstrichen darauf hin, dass es keine Schnellstrasse gibt. Die Lotosblüte entfaltet sich erst in ihrer ganzen Pracht, wenn sie sich durch den Schlamm gekämpft hat. Wohl kaum mit dem Ziel, die schönste aller Blumen zu sein. Schön wird sie dadurch, dass sie ihren Weg geht.
Damit ich mich in meiner Yoga-Pracht entfalten kann, muss ich diese spektakulären Asanas gar nicht beherrschen. Es reicht, dass ich immer wieder auf die Matte gehe und übe. Mit Hingabe, Demut und ohne Ziel. Egal, welche Asanas gerade anstehen. Egal, ob ich sie kann oder nicht. Wie cool ist denn das?!
*Thich Nhat Hanh. 30 Original-Kalligraphiekarten und ein Anwendungsbuch. O.W. Barth Verlag 2016. Fr. 29.50
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